OrdnungUngleichheits-Monster |
FamilieAusnutzungs-monster |
Gattung & Artparasitus abutendi cura (invisibili) |
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Der Sorge-Schmarotzer steckt in fast jedem von uns, ob wir es wollen oder nicht. Er ernährt sich von der Sorgearbeit, die zum Beispiel in Sorge-Berufen aus den Bereichen der Kranken- oder Altenpflege,durch Erziehungs- oder Reinigungsarbeit erledigt wird. Auch „unsichtbare Sorgearbeit” im Privaten, wie z.B. die Pflege von Angehörigen oder Hauswirtschaft, ermöglicht seine Existenz.¯
Der Sorge-Schmarotzer macht vor nichts halt. Wie ein Parasit profitiert er von jenen Menschen, die im Bereich der Sorgearbeit tätig sind, indem er ihre Arbeitskraft für sich selbst nutzt – und anderen kaum Wertschätzung entgegenbringt. Sein finanzieller Erfolg basiert auf der schlecht bezahlten Arbeit anderer.
Die Auswirkungen des parasitären Monsters sind für die Betroffenen fatal: Niedrige Löhne, prekäre Arbeitsbedingungen, Fachkräftemangel. Besonders tückisch ist, dass der Monsterbefall und die damit verbundene Ausbeutung den meisten Menschen gar nicht auffällt und für große Teile der Bevölkerung unsichtbar bleibt.
In fast jedem Haushalt in mehreren Exemplaren vorhanden
nur wenig selbstreflektierte Exemplare, einige zu finden bei: DRK-Schwesternschaft Kassel e.V. oder bei Feminism Unlimited Kassel (FU*K).
i.d.R. ist Sorgearbeit überall zu finden, jedoch ist sie unsichtbar und wird nur durch eine reflektierte Perspektive sichtbar
Rein äußerlich ist der Sorge-Schmarotzer unscheinbar. Er sieht häufig so aus wie der „Durchschnittsmensch” unserer Bevölkerung: 1,78 m groß, 85 kg schwer, 43 Jahre alt (Abweichungen möglich). Die meisten Exemplare des Monsters sind weiß und männlich.
Gerade dieses unauffällige, durchschnittliche Aussehen macht das Monster zu einer großen Gefahr, weil sein Treiben gesellschaftlich unbemerkt bleibt und zur Norm wird. Hinzu kommt, dass sich die meisten Sorge-Schmarotzer ihrer eigenen Monster-Identität gar nicht bewusst sind – oder sie tun so, als würden sie ihre eigene Monsterseite nicht erkennen.
Ihre monsterhaften Verhaltensweisen wissen die Sorge-Schmarotzer gekonnt zu verstecken. Gerade durch die Zusammenarbeit mit anderen Exemplaren ihrer Art hat diese Spezies ein ganzes System aufgebaut, an dessen Spitze sie steht. Auf diese Weise wird ihr ausbeuterisches Verhalten normalisiert und nur selten infrage gestellt. Ganz am unteren Ende dieses Systems stehen diejenigen, die in der Sorgearbeit tätig sind. Durch die Ausnutzung dieser Menschen gewinnt der Sorge-Schmarotzer an Kraft.
Das Sorgemonster (links) und eine Auswahl derjenigen, die seine privegierte Lebensweise ermöglichen.
Aufgrund der anstrengenden, aber oft schlecht bezahlten Sorgearbeit bleiben in Deutschland viele Arbeitsplätze in der Branche unbesetzt. Um jedoch eine gewisse Versorgung garantieren zu können, werden immer mehr Stellen mit Personal aus wirtschaftlich schwächeren (Nachbar-)Ländern besetzt. Diese transnationale Sorgekette ist sowohl für das Empfänger-, als auch das Geberland wichtig: Häufig stärken die zugewanderten Arbeitskräfte ihre Heimatökonomie, indem sie ihren Verdienst nach Hause senden. Diese „Lückenfüller*innen” für die Sorgearbeit des Globalen Nordens arbeiten aber meist in prekären (Ausbeutungs-)Verhältnissen, insbesondere auch mit Folgen für das eigene psychische und physische Wohlergehen.
Ein Großteil der Sorgearbeit wird durch profitorientierten Unternehmen organisiert, die möglichst viel Gewinn erwirtschaften möchten. Staatliche Institutionen kontrollieren selten die Bedingungen, unter denen Sorgearbeit geleistet wird. Die fehlende staatliche Aufsicht und gesellschaftliche Wertschätzung bieten dem Sorge-Schmarotzer einen guten Lebensraum.
(o. „Care-Arbeit”) umfasst alle Aufgaben, die Menschen für ihr körperliches
und geistiges Wohlergehen und das der Gemeinschaft leisten. Sie kann sowohl öffentlich als auch privat erfolgen
und bildet die Grundlage für das gesell schaftliche Zusammenleben.
Die Matroschkapuppen zeigen durch ihre Größe den prozentualen Lohn der in Pflegeberufen arbeitenden Menschen nach Herkunftsland im Vergleich zu Deutschland. In Deutschland verdient eine Pflegefachkraft rund 47.900 € (= 100%) Brutto im Jahr, während sie in Rumänien mit 12.100 € (= 25%) gerade mal ein Viertel so viel verdient. (Illustration: Gregor Müller, orientiert an Grefe 2020: 33)
Viele Abläufe der Natur benötigen den Wechsel von Helligkeit zur Dunkelheit als Taktgeber. Dadurch, dass in vielen Be- reichen der Erde, durch die künstliche Beleuchtung des Menschen, dieser Wechsel nicht mehr stattfindet, kommt es zu Störungen dieser Abläufen. Beispielsweise bei dem Rhythmus von nachtaktiven Tieren, weil es in den Nächten nicht mehr dunkel wird.
„Die pflegerische Versorgung der Bevölkerung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe” – so die Formulierung im elften Sozialgesetzbuchs der BRD (SGB XI, §8, Abs.1). Doch die gesellschaftliche Wirklichkeit sieht anders aus. Den oben abgebildeten Grafiken lässt sich entnehmen, dass im Geschlechtervergleich viel mehr Frauen als Männer bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit leisten. Sie bekommen die niedrigen Löhne und die schlechten Arbeitsbedingungen zu spüren und üben deutlich mehr unbezahlte Arbeit aus als Männer. Dies wird bspw. verstärkt durch konservative Familienbilder, in denen häusliche Sorgearbeit allein den Frauen aufgebürdet wird.
Neben Frauen werden auch viele Migrant*innen ausgenutzt. Ein großer Teil unserer Gesellschaft nimmt die prekären Bedingungen notwendiger Arbeit als gegeben hin, akzeptiert die schlechten Bedingungen und profitiert von dieser Art Ausbeutung. Neben der gesellschaftlichen Ignoranz müssen auch die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen kritisiert werden, die Politik, Arbeitgeber*innen und Gewerkschaften mitgestalten. Würden die Beschäftigten in der Sorgearbeit z.B. mehr Geld durch feste Tarifverträge verdienen, müssten die Sorge-Schmarotzer auf gewisse Privilegien verzichten.
Die Geschlechterverhältnisse in Erziehungs-
berufen sehr ungleich verteilt: Von den
Beschäftigten sind gute 95% weiblich und nur knappe 5% männlich.
(vgl. I.L.A. Kollektiv 2017: 33, Abb. 4.5)
Frauen leisten im Schnitt 52% mehr unbezahlte Arbeit als Männer (z.B. Kinder-
erziehung, Pflege von Angehörigen).
(vgl. I.L.A. Kollektiv 2017: 30, Abb. 4.1).
Der Sorge-Schmarotzer kann nur bezwungen werden, indem die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, den Arbeits- rechten und der Entlohnung in der Sorgearbeit überwunden werden. Zusätzlich muss das Monster in der privaten Sorgear- beit enttarnt und bekämpft werden, indem andere Rahmen- bedingungen geschaffen werden. Durch staatlich finanzierte Einrichtungen und Dienstleistungen kann eine soziale Infra- struktur entstehen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht und weiterhin die Basis für ein menschen- würdiges Leben schafft.
Es braucht Geduld, denn dieses Monster kann nur gemeinsam, durch eine Care-Revolution, besiegt werden! Das wissen auch die Menschen, die Demonstrationen, wie den Walk of Care, unterstützen und dort eine Demokratisierung der Sorgearbeit fordern. Wir alle können sowohl analog, durch den Besuch von Demonstrationen, aber auch auf digitalem Weg aktiv werden und Teil der Care-Revolution sein.
Die Sorgearbeit, welche ihren Fokus auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Menschen legt, begegnet uns im Alltag zu jeder Zeit an jedem Ort. Ohne diese wäre ein Leben wie wir es kennen nicht möglich. Wann haben Sie oder ihre Familie und Freunde zuletzt Sorgearbeit genutzt - und wann getätigt? (Illustration: Rau&Vopička 2020)
„Walk of Care”, München (Foto: Flachenecker 2016)
DRK-Schwesternschaft Kassel e.V. | www.drk-schwesternschaft-kassel.de Feminism Unlimited Kassel (FU*K) | feminismunlimitedkassel.wordpress.com
Walk of Care – Pflege macht sich stark! | digitalwalkofcare.org
Care Revolution Netzwerk – Her mit dem guten Leben! Für Alle weltweit! | care-revolution.org Konzertierte Aktion Pflege | bundesgesundheitsministerium.de/konzertierte-aktion-pflege
Binder, B., Bischoff, C., Endter, C., Hess, S., Kienitz & S., Bergmann, S. (Hg.) (2019).
Care: Perspektiven und Politiken der Fürsorge. Ethnographische und geschlechtertheoretische Perspektiven. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Bundeszentrale für politische Bildung (2019). Pflege. (APuZ - Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung. 69. Jahrgang, 33-34/2019).
Mörfelden-Walldorf: Frankfurter Societäts-Druckerei GmbH & Co. KG.
Flachenecker, B. (2016). Walk of Care Munich. HCM-Magazin / hcm-magazin.de/pflege-demo-muenchen
Grefe, C. (2020). Kümmert euch! ZEIT (Juli 2020 - Ausgabe 29). S. 33-34.
I.L.A. Kollektiv (2017): Sorge. Nobody cares? In: I.L.A. Kollektiv (Hg.): Auf Kosten anderer? Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert.
München: Oekom-Verlag, S. 30-38.
Dieses Monster wurde im Sommersemester 2020 entdeckt und beschrieben durch die renomierten Monster-Forscher*innen Sarah Leona Rau und Feli Vopička, Studierende der Universität Kassel.
Konzept und Redaktion: Oliver Emde
Grafik, Layout und Satz: Gregor Müller